>>zurück

Neulich, auf dem Zauberkongress



"Das Neueste vom Neuen, sag ich Dir!" Stolz präsentierte Ariel seine Neuerwerbung - einen etwa zwei Meter langen Zauberstab. Mit Sicherheit der längste Zauberstab auf dem ganzen Kongress. "Hat schon früher seine Potenzprobleme mit seiner Angeberei kompensieren müssen" tuschelte mir Esmeraldina, ihres Zeichens eine der Hexen von Westwick, leise zu. Ohne es zu wollen, musste ich kichern, worauf mir Ariel einen giftigen Blick zuwarf. Nur mit Mühe konnte ich dem Blick ausweichen, bevor er an der Wand hinter mir einen giftblickgrünen Fleck hinterließ. Ich zuckte kurz entschuldigend mit der Schulter, was mir Leopold III., mein dreimal schwarzer Kater, sofort übel nahm. "Zucke nicht dauernd so herum!" fauchte er mir ins Ohr. "Zicke Du nicht dauernd so herum!" fauchte ich zurück. Man hat ja schliesslich seinen Stolz und damit auch das letzte Wort. "Tapp - Tapp!" unterbrach eine Stimme den immer noch begeistert seinen Stab vorführenden Ariel. Dieser stöhnte leise. "Andriz - was macht ihr denn hier?" Die Frage hatte mehr als nur einen Grund - schliesslich war Andriz ein Angehöriger der technokratischen Fraktion und als solcher kein offizielles Mitglied der traditionellen Zaubergilde mehr. "Ich möchte Euch nur beweisen, dass von Eurem Zauberstab mindestens einhundertachtzig Zentimeter für die Katz' sind!" Eine katzenrassistische Bemerkung, die Leopold III. sofort mit einem weiteren Fauchen quittierte - diesmal jedoch in Richtung Andriz und nicht wieder in mein Ohr. "Seid ruhig, Leo," antwortete Andriz mit einer Mischung aus Snobismus und Lässigkeit. "Sonst bekommt der Begriff 'Katzenstreu' eine völlig neue Bedeutung." "Hey!" Katze hin, Leopold her - das war zuviel. "Willst Du damit etwa meinen Kater bedrohen?" "Aber nicht doch!" antwortete Andriz, "Nehmet diese Worte als dahingeworfene Bemerkung hin!" In der Tat, die eben ausgesprochenen Silben lagen bereits zersplittert zu meinen Füssen. "Passt auf, Andriz! Hier läuft noch so mancher Eremit baren Fusses herum - ihr wollt doch nicht, dass sich einer an Euren Wortfetzen verletzt?" Andriz seufzte und ließ mit einem Wink seines Zauberstabes die Splitter verschwinden. Zauberstab? "Was beabsichtigt ihr mit diesem chinesischen Essstäbchen anzufangen?" höhnte Barbapapyrus, stellvertretender Sprecher der Zauberstabsherstellergilde. "Das Neueste vom Neuen!" antwortete Andriz mit der üblichen Mischung aus... ihr wisst schon was. "Ein Kompakt-Zauberstab. Zusammenklappbar, mit Solarzellen, USB-Schnittstelle und - natürlich - waschmaschinenfest!" "USB-Schnittstelle???" fragte ich. "Aber natürlich - wir müssen schließlich mit der Zeit gehen. Wir von der technokratischen Fraktion werden in Zukunft Zaubersprüche, Flüche und Wunder auf dem Internet zum Download anbieten. Zusammen mit einem Mobiltelefon können Sie die Ware - gegen eine geringe Gebühr - jederzeit abrufen." "Mit einem Mobiltelefon?" "Aber natürlich!" antwortete Andriz mit einem echten Vertreterlächeln. "Uns ist klar, dass wir mit unserer e.commerce Lösung noch nicht die gesamte Zielgruppe ansprechen - aber es gilt ja rechtzeitig die Zielgruppen anzusprechen." "Unsinn!" dröhnte es von der hohen Galerie herunter. Mit einem eleganten Salto wirbelte Merlin, der Altmeister, die zwanzig Meter im Sturzflug herunter. Ohne jede Unsicherheit landete er auf seinen Füßen. Ohne jedes Zögern übergab sich der schwarze Rabe, der auf Merlins Schultern saß. "Ach, Nimmermehr, wann gewöhnst Du dir das endlich ab!" seufzte der Zaubermeister, Träger des magischen Ehrenordens, Bewahrer der sieben Siegel, Sprecher der Traditionalisten. "Sobald Du dir angewöhnst, mich vor einem Sprung zu warnen!" krächzte der Vogel. "Was soll das?" Merlin wandte seine Aufmerksamkeit wieder der versammelten Menge um Andriz zu. "Zaubersprüche verkaufen. Laden aus dem Internet! Unsinn!" "Keineswegs!" widersprach Andriz und zog einen weiteren Zauberstab aus seinem Gürtel. "Hier - es gibt sogar eine kostenlose Grundausstattung, dreissig Tage zum Testen." Merlin schnappte nach dem Zauberstab. Zauberstäbchen. Den richtete er auf Leopold III. "Creatura morphosis hippopotamis!" Ich konnte noch rechtzeitig zur Seite springen, bevor sich Leopold III. in ein kleines Nilpferd verwandelte. Die versammelte Menge bekundete ihre Anerkennung mit einem leisen Raunen. "Naja..." schnaufte Merlin. Dann richtete er das Stäbchen auf meinen Hexenbesen. "Morphosis Carensis Rapidus!" Ich weiss nicht, wass ich Merlin angetan hatte, dass er ausgerechnet meine Ausrüstung verwandelte - auf jeden Fall wurde aus meinem Besen eine hölzerne Badewanne - ein Cyberzuber sozusagen. "Das reicht!" Ich entriss Merlin den Zauberstab und richtete ihn auf meinen Besen. "Returi, Zauber statt Zuber, Besen gewesen, Besen wird's sein!" Der Zauberstab vibrierte kurz, dann ertönte eine kleine Stimme. "Es tut uns leid, aber dieses Feature ist in der Shareware-Version des Zaubermix Millenium-Edition leider nicht enthalten. Bitte entrichten Sie Ihre Anmeldegebühr und laden Sie die vollständige Version des Zauberbetriebssystems von der Ihnen bekannten Internet-Adresse." Andriz seufzte und richtete seinen Zauberstab auf Leopold III. "Undo -exe -r -w" Mit einem leisen Zischen verwandelte sich Leopold III. ... in einen Wellensittich. "System Error - es ist ein Ausnahmefehler aufgetreten!" meldete sich der Zauberstab. "Ääh.... so etwas. Normalerweise passiert das nicht." "Bitte installieren Sie das Betriebssystem neu." "Schutzadressenverletzung an Adresse 0815:etepetete" "Verdammt!" fluchte Andriz und schüttelte den Zauberstab. Die Menge verflüchtigte sich langsam. Mit leichter Verzweiflung blickte ich auf den Wellensittich und den Badezuber. "Es ist ein Gerätekonflikt aufgetreten. Der Treiber kann nicht gefunden werden. Datei nicht gefunden. Der 30 tägige Test ist abgelaufen - bitte registrieren Sie sich!" * Was soll ich sagen. Okay - Leopold III. ist ganz zufrieden - immerhin kann er jetzt fliegen - obwohl ihm das Vogelfutter auf Dauer nicht zu behagen scheint. Die Sache mit dem Badezuber war komplizierter. Ich habe ihn einem befreundeten Zauberlehrling gegeben. Der hat ihn am Ende lackiert, vier Räder angeschraubt und mit zwei verstellbaren Sitzen ausgestattet. Ich nenne ihn (den Zuber - nicht den Zauberlehrling) jetzt Barchetta. Macht sich ganz nett, besonders im Sommer. Aber fliegen kann er nicht - im Gegensatz zu Leopold III.

copyright Andriz 2000