Das rettende Feuer 
Es war kalt. Draußen schneite es bereits seit mehreren Tagen, während im Haus der Kamin eigentlich für gemütliche Wärme sorgen sollte. Aber Finn hörte kein Knistern des Feuers, sondern nur das Klappern ihrer Zähne, die im schnellen Takt aufeinander schlugen. Sie hatte sich warm angezogen und saß in eine Decke gewickelt auf dem Bett. Das Holz war ihnen schon seit Tagen ausgegangen und somit mussten sie frieren und hoffen, dass Garad, Finns älterer Bruder, bald wieder nach Hause kam. Er hatte sich auf den Weg gemacht, ihre Nachbarn zu fragen, ob sie ihnen nicht ein wenig des kostbaren Holzes abgeben konnten. Seit nun mehr zwei Tagen war ihr Bruder weg und langsam machte sich Finn Sorgen. Sollte ihm denn etwas passiert sein? Hatte er etwa den Weg durch den Schnee nicht geschafft? Immerhin wohnten ihre Nachbarn einen halben Tagesmarsch von ihnen entfernt. Finn hoffte, er möge endlich wieder zurückkommen. Sie hatte keine Kraft mehr, sich alleine um ihre beiden Schwestern zu kümmern, die nun beide schlafend auf dem Bett lagen, zusammengekauert und eng aneinandergeschmiegt. Sie selbst konnte nicht schlafen, denn sie hatte ihrem Bruder versprochen, auf Syra und Elra aufzupassen. 

Müde schaute sie sich in dem kleinen Raum um. Es war nicht mehr viel übrig geblieben von ihrem ehemaligen Heim. Der Tisch und auch die Stühle hatten schon als Brennholz dienen müssen, doch jetzt hatten sie gar nichts mehr. In der Ecke des Raumes lagen all ihre Wertsachen: Ein Bild ihrer Eltern, die letzten Winter an einem Fieber gestorben waren, und ein kleiner Beutel mit den restlichen Geldstücken, die sie noch übrig hatten um sich am Leben zu halten. Mehr besaßen sie nicht mehr. 

Finn stand leise auf, um ihre Schwestern nicht zu wecken, und ging hinüber. Sie hob das Bild auf und huschte wieder unter die Decke. Zitternd drückte sie die letzte Erinnerung an ihre Eltern an sich. 

„Oh, wie ich euch vermisse“, flüsterte sie, während Tränen ihre Wangen herunter rannen, „Mutter, Vater … ich weiß nicht, wie ich Syra und Elra beschützen soll. Jeden Abend fragen sie nach euch, wollen wissen, wann ihr wieder zurückkommt. Was soll ich ihnen denn antworten? Sie sind zu klein um die Wahrheit zu verstehen. Und ich würde es nicht verkraften, ihre Trauer zu sehen. Sie leiden doch so schon genug. Oh bitte, helft Garad, den Weg zurück zu finden. Ohne ihn schaffe ich es doch nicht.“ Sie seufzte und wischte sich das Gesicht trocken. Ihr Blick fiel auf Syra und Elra, die selbst im Schlafe noch vor Kälte zitterten. Finn nahm ihre Decke und legte sie über die beiden, um ihnen noch ein wenig Wärme zu geben. „Werdet mir nicht krank, ihr beiden“, raunte sie den beiden Schlafenden zu und küsste sie auf die Stirn. Dann wandte sie sich um und blickte aus dem Fenster. Es schien kein Ende mehr zu nehmen. Dieser Schneefall war schlimmer als alles andere, was sie je erlebt hatte. Man konnte die Tür vor lauter Schnee kaum mehr öffnen und konnte sich auch nicht länger als ein paar Minuten ohne die richtige Ausrüstung im Freien aufhalten. Garad hatte eine solche Ausrüstung. Sie hoffte so sehr, er würde endlich wieder da sein. 

Ganz in Gedanken versunken bemerkte sie nicht, wie eine der beiden Kleinen aufwachte. Erst, als Finn ein leises Wimmern vernahm, drehte sie sich um und sah Syra, die jüngere der beiden, wie sie ihre große Schwester mit großen, feuchten Augen ansah. 

„Wo ist Garad, Finn?“ wollte sie mit zitternder Stimme wissen.

„Er ist bald wieder da. Er sucht nur nach Holz, damit wir nicht mehr frieren müssen, verstehst du?“ Finn nahm ihre Schwester auf den Schoß und drückte sie eng an sich. 

„Vielleicht bringt uns ja der Weihnachtsmann heute Nacht das Holz!“ meinte die Kleine mit leuchtenden Augen. „Er bringt den Menschen doch immer das, was sie sich wünschen.“

Finn runzelte die Stirn und seufzte. „Wenn es nur so einfach wäre, Syra. Der Weihnachtsmann hat dieses Jahr sehr viel zu tun. Vielleicht hat er keine Zeit für uns.“

„Aber er hat doch seine Helfer, die Wichtel. Und die Rentiere bringen ihn auch ganz schnell zu uns.“

„Lass uns abwarten. Und nun leg dich wieder hin. Es ist kalt, nicht, dass du noch krank wirst, meine Liebe.“ Sie drückte Syra noch einmal eng an sich und half ihr dann, wieder unter die warmen Decken  zu schlüpfen, ohne Elra dabei zu wecken. 

Finn beschloss, nun auch ein wenig zu schlafen. Ihre Augen wurden immer schwerer und sie hatte keine Kraft mehr, sie offen zu halten. Sie kauerte sich zusammen und schloss die Augen. Nach wenigen Minuten war auch sie eingeschlafen, doch es war kein erholsamer Schlaf, der sie überkam. Ihre Träume waren wirr und unruhig. 

Sie erwachte in der Nacht, als sie ein Geräusch an der Tür hörte. Ein kalter Windstoß fegte in das Haus hinein, als eine Gestalt eintrat. Es war dunkel und Finn konnte nicht erkennen, wer es war. „Garad?“ flüsterte sie leise, um ihre Schwestern nicht zu wecken. 

Die Gestalt antwortete ihr nicht. Sie stellte einen Sack neben der Tür ab und verschwand, so schnell, wie sie gekommen war. Finn war zu erstaunt, um etwas zu unternehmen. Wer war das nur gewesen? Garad hätte ihr geantwortet. Garad wäre vor allem nicht wieder hinaus in die Kälte gegangen. Finn überwand ihre Starre und stand auf, um den Sack zu öffnen. Als sie erkannte, was darin war, stieß sie einen leisen Schrei aus. 

Holz. Es war Holz. Gutes, trockenes und brennbares Holz. Und das nicht genug. Auch frisches Brot und Plätzchen lagen in dem Sack. Finn räumte schnell den Kamin sauber und machte ein Feuer. Sie strahlte, als die Wärme sie berührte und merkte gar nicht, wie ihr erneut Tränen über das Gesicht rannen. Tränen der Freude und Erleichterung. Nach kurzer Zeit hatte sich die Wärme im ganzen Raum verteilt und sie hörte auf zu Zittern. Finn genoss das Knistern des Feuers und schloss die Augen. 

Wie sie so vor dem Kamin saß, öffnete sich die Tür erneut. Sie drehte sich um und erkannte diesmal ihren Bruder, wie er erschöpft hineinstolperte. Finn sprang auf und half ihm aufs Bett, wo er sich hinsetzen konnte, und schloss die Tür wieder. Dann nahm sie sich die Zeit und umarmte Garad lange, drückte ihn ganz nah an sich.

„Danke“, flüsterte sie. „Danke, dass du noch lebst.“ 

Garad erwiderte die Umarmung und küsste sie auf die Wange. „Ich bin auch froh, endlich wieder zurück zu sein.“ 

Mittlerweile waren auch Syra und Elra aufgewacht und stürmten auf Garad zu. Alle vier strahlten sie und waren glücklich, wieder zusammen zu sein. Dann erst registrierte Garad das Feuer im Kamin und schaute Finn fragend an. „Wo habt ihr das Holz denn auf einmal her?“ 

Finn erzählte ihren Geschwistern, was geschehen war und als sie fertig war, grinste Syra sie zufrieden an. „Ich hab dir doch gesagt, der Weihnachtsmann bringt uns das Holz.“

Galad und seine Schwestern lachten, umarmten sich und aßen die Plätzchen, die der Weihnachtsmann ihnen gebracht hatte und verbrachten doch noch ein schönes Fest zusammen.