11.12.98
 Hallo Kleiner !
Du erinnerst Dich nicht mehr daran: Es war dunkel, als du kamst, im ganzen Haus war es ruhig. Meine Frau schrie. Ich versuchte zu helfen wo es ging. Die anderen waren Profis, sie halfen Dir routiniert, sie wußten, was passiert, sie hielten, drückten, nähten. Sie sorgten dafür, das ich nicht im Weg stand und gaben mir die kleinen Aufgaben, die nur dazu da sind, daß man nicht zusammenbricht. Ich hatte alles über Dich gelesen, über die kleinen und großen Probleme, über die Sorgen, die ich mir nicht machen wollte, über das Glück, das mich jetzt durchströmte. Doch die Freude war gedämpft, wie das Licht der Dämmerung an diesem Morgen, als Du da warst.

Meine Frau war eingeschlafen, endlich; wir waren in einem anderen Zimmer und ich hielt Dich im Arm - wie einen Fremden.  Ich hatte den Beweis deines Lebens, und ich ließ Dich nicht los, als jemand mir helfen wollte. Nun hatte ich Dich - so lang erwartet.

Ich wollte Dir den grauen Morgen zeigen, die Bäume vor dem Haus, den Regen, die Autos. Doch Du hast mich nur angeschaut, die Lippen geschürzt als wolltest Du etwas sagen. Du schienst mich besser zu kennen als ich Dich; wir hatten nebeneinander gelegen, Du hast meine Stimme gehört und meine Hände gefühlt. - und wie wenig wußte ich von Dir?

Ich hielt Deinem Blick kaum stand, und als ich flüsterte: “Mein Christkind”, da hast Du zum ersten mal gelächelt. Doch wie soll ich Dich sonst nennen, mein Sohn, geboren am 25.12. um 4 Uhr früh?

 
Copyright Boris Kalbheim