22.12.1998
Die Rückkehr der Weihnacht
Es war tief in der Nacht, und es war kalt und einsam. Promelkow versuchte soviel Wärme wie möglich im Körper zu halten, indem er seine Arme fest um sich selber schlang. Leicht vorgebeugt, das Gesicht nach unten, stapfte er durch den Schnee, der selbst auf der Fahrbahn schon eine beachtliche Höhe erreicht hatte. Ab und zu schüttelte er seine Arme aus um zu verhindern, das der dichte, unablässig treibende Schneegriesel Nester vor seiner Brust bilden konnte. Es wehte ein eisiger, ständig die Richtung wechselnder Wind. Vor ihm führte der kaum noch zu erkennende Verlauf der Straße in ein weißes, leeres Nichts. Nur hier und da wurde die Ödnis durch das düstere Gerippe laubloser Bäume unterbrochen, auf deren dürren Zweigen sich der Schnee kaum halten wollte. Promelkow ging einem ungewissen Ziel entgegen. 
Irgendwo dort vorne mußte es eine Ortschaft geben. Er erinnerte sich daran an einem Straßenschild vorbeigefahren zu sein, kurz bevor er die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren hatte. Da ihm schon dort bewußt gewesen war, das er seine Fahrt bei diesem Wetter unmöglich würde fortsetzen können, hatte er auf die Entfernungsangabe geachtet. Jetzt blieben vielleicht noch fünf Kilometer um sein Ziel zu erreichen. - Fünf lange Kilometer. 
Die Kälte schmerzte, und Promelkow verspürte Angst vor dem Moment, an dem sie aufhören würde zu schmerzen. Er trug nicht einmal einen Mantel, und auch sein Kopf war ungeschützt. In seinem Wagen, der soweit hinter ihm im Straßengraben lag, das er schon lange nicht mehr zu sehen war, hatte er nicht einmal eine Decke gefunden.
Er fühlte wie er immer müder wurde und er beschleunigte seinen Schritt um dagegen anzukämpfen. Vielleicht wäre er besser beim Wagen geblieben, aber da der Motor nicht mehr angesprungen war und somit die Heizung nicht mehr lief, hatte er sich auf den Weg gemacht. Jetzt aber bereuter er dies.

Er mußte es schon eine Weile gesehen haben, aber er bemerkte es erst als das Phänomen intensiver wurde: Der Schnee um ihn herum färbte sich in beständigen Intervallen in ein leichtes Rot. Zunächst an eine Sinnestäuschung glaubend blickte Promelkow auf und wollte dann einfach nicht wahrnehmen, was er da sah. Direkt vor ihm, quer über die Straße stand ein großer Hörnerschlitten. Davor waren fünf Tiere eingespannt. Jeweils zwei links und rechts neben der Deichsel und eines mittig davor. Dieses eine war so erstaunlich, das Promelkow den in einen Mantel gehüllten Mann, der sich auf dem Fußraum des Schlittens gekauert hatte, und dessen Gesicht von einer schwarzen, vom Schnee eingezuckerten Pudelmütze halb verdeckt wurde, zunächst gar nicht bemerkte. Die übergroße Nase des vorderen Tieres leuchtete nämlich beständig im Sekundentakt rot auf.
Promelkow stand mit weit geöffnetem Mund da, und er spürte die feinen Schneekristalle nicht mehr, die in sein Gesicht schnitten. Erst als der Mann in der Kutsche zu sprechen begann, löste sich Promelkows Starre.
"Praktisch - nicht war", sagte der Mann. "Und trotzdem wäre ich froh, wenn ich ein einfaches Warndreieck hätte, denn hinten ist keine Blinkanlage!" Dabei deutete er mit krummem Zeigefinger auf das Heck des Schlittens.
"Was...?" Promelkow brach den Satz benommen ab. Er fragte sich ernsthaft, ob er vielleicht gestorben war ohne dies zu merken. So fremd war dies alles -,und merkwürdigerweise doch so vertraut.
"Das ist eine gute Frage, Promelkow." Jetzt hob der Mann seinen gekrümmten Zeigefinger und hielt ihn nach oben. Dabei bewegter er seine Hand hin und her, wie ein Lehrer, der seinen Schülern droht. "Ich nehme an du kannst dich nicht mehr an mich erinnern. - Nein, ich bin sogar sicher, das du dich nicht an mich erinnern kannst. Das wäre ja auch noch schöner." Der Mann griff neben sich, nahm eine Decke die dort lag und reichte sie Promelkow. "Hier! Du bist ja schon ganz blau."
Promelkow nahm schlafwandlerisch und mit klammen Fingern die Decke, und legte sie sich dicht um die Schulter. Erstaunt stellte er fest, das ihm sogleich wärmer wurde. Er zog die Decke vor seiner Brust zusammen und störte sich nicht daran, das sie ein wenig streng roch. "D - danke!" stotterte er kopfschüttelnd. "Aber wer um alles in der Welt sind sie denn?"
"Mein Name ist Knecht. Ruprecht Knecht! Und nicht etwa umgekehrt wie immer behauptet wird." Der Mann seufzte. "Aber komm jetzt. Ich bringe dich zur Stadt. Darum bin ich nämlich gekommen. Und ich sag dir gleich, das ich mir damit jede Menge Ärger einhandle. Die Chefin wird nicht besonders erfreut sein, wenn sie wieder aus dem Kamin krabbelt, und der Schlitten ist weg. Trotzdem mußte ich dir einfach helfen. Keiner soll sagen, das Ruprecht Knecht nachtragend ist." Er stand auf und setzte sich auf den Kutschbock.
So als würde ihn jemand schieben stieg Promelkow in den Schlitten. Der Mann schnalzte mit der Zunge, und die Tiere setzten sich langsam in trabende Bewegung. Die blinkende Nase des vorderen Tieres erlosch. Promelkow kratze sich die Brust. "Also - ich meine - warum nachtragend?" fragte er unsicher. Herr Knecht rutsche vom Kutschbock und setzte sich Promelkow gegenüber. "Du weißt es wirklich nicht mehr, nicht wahr. Es ist ja auch schon verdammt lange her. Du warst damals noch ein kleiner Junge. Wir hatten grade die Geschenke gebracht, da stürmtest du auf einmal ins Wohnzimmer. Du warst ein richtig kleiner Berserker. Wahrscheinlich dachtest du, wir wollten klauen. Wirklich ein tapferer kleiner Kerl." Ruprecht Knecht lächelte. "Hier", sagte er und zeigte Promelkow dabei ein kleines aufgeschlagenes Buch. 'Promelkow - Glaubt an nichts und niemanden' stand dort in geschwungener Schrift. Jemand hatte mit ungelenker Hand noch etwas dahinter gekritzelt: 'Außerdem hat der kleine Mistkerl verdammt spitze Zähne und mich damit in den Finger gebissen.'
"Ich kann ihn bis heute nicht mehr grade machen", sagte Ruprecht Knecht. "Und die Chefin hatte wochenlang einen dicken Bluterguß am Schienenbein. - Aber was soll's! Ruh du dich ruhig ein wenig aus. Du mußt ja schrecklich müde sein." Ruprecht Knecht schwang sich wieder auf den Kutschbock und nahm die Zügel in die Hand.

Der Schlitten glitt sanft dahin. Promelkow spürte wie die Decke seinen Körper angenehm wärmte. Leider nahm mit zunehmender Wärme aber auch der unangenehme Geruch zu. Außerdem kratzte der Stoff. Letzteres war es, das Promelkow daran hinderte einzuschlafen. Die Fahrt dauerte nicht lange. Als die Lichter der Ortschaft schon längst in Sichtweite waren hielt der Schlitten. Ruprecht Knecht drehte sich um. "Die letzten paar Meter allerdings mußt du schon zu Fuß gehen. Ich möchte wirklich keinen Aufruhr verursachen", sagte er freundlich.
Promelkow stieg aus. Und wieder war es, als würde ihn jemand schieben. Als er die Decke von der Schulter nehmen wollte winkte Ruprecht Knecht ab. "Behalte sie ruhig als Erinnerung."
"Danke", sagte Promelkow. "Vielen Dank." Zögernd stapfte er los. Nach ein paar Metern drehte er sich um und schaute zurück. Der Schlitten war verschwunden. Nicht mal eine Spur im Schnee war zurückgeblieben.
'Ich muß geträumt haben', dachte Promelkow und kratzte sich. Dabei bemerkte er, das auch die Decke nicht mehr da war - trotzdem blieb es ihm angenehm warm.
Schließlich erreichte er die erste Laterne. Promelkow war in Sicherheit.

Der Wind blies ihnen ins Gesicht. Weit unter ihnen glitt die verschneite Landschaft dahin. Rudolf, das vordere Rentier, drehte seinen Kopf und schaute Ruprecht Knecht belustigt an. "Eins will ich dir aber noch sagen", rief es. "Du bist wirklich ganz schön fies! Dem armen Kerl die verlauste Decke von Zweilinks zu geben war wirklich gemein." Das letzte Rentier in der linken Reihe, das eigentlich Donner hieß, schnaubte empört. Ruprecht aber rieb seinen Zeigefinger und grinste nur.

 
Copyright walt g. lipp/© 1998 
>>Hallo Zauberfee :-)))
Hier schicke ich dir nun meine niegelnagelneue Weihnachtsgeschichte. Da sie
nicht den Kriterien entspricht, kann sie natürlich nur außer Konkurrenz
teilnehmen. Immerhin haben sich ja wohl alle anderen an die Vorgaben
gehalten. Außerdem wird sie gleich in die Feldbusch Chroniken und in meine
Promelkowsammlung geladen. Sie wird also kein großes Geheimnis sein :-)<<

Nun, da die Zauberfee der Meinung ist, wenn es keinen Weihnachtsgeschichtenwettbewerb gegeben hätte, wäre ein neuer Promelkow vielleicht erst zu Ostern erschienen, sieht sie gar nicht ein, ihn NICHT mit aufzunehmen ;-)))) (und so doll viel länger als die anderen isse nu auch nicht *gggg*)