Die Spinne im INTERNETz - Teil 9 von Bonkow
Die bestimmt 30 Meter lange Yacht jedenfalls wäre den Ansprüchen jedes noch so verwöhnten Hollywoodstars gerecht geworden. Ich hatte zwar keine Ahnung von Booten, aber auf der "Rosinante" war offensichtlich alles nur vom Feinsten. 

Auf der Konsole vor dem Steuerrad prangten zig verschiedene Digitalinstrumente, deren Sinn mir völlig unklar war. Ich hatte mir Segeln irgendwie schwieriger vorgestellt, aber hier schien alles voll automatisiert zu sein. Wenn ich das Steuer nach links, backbord wie wir alten Seebären sagen, bewegte, legte sich der Rumpf leicht zur Seite und ich fuhr nach, ja, nach links eben. Andersherum war es genauso. Nun, ich hatte wie gesagt keine Ahnung, wo ich war und von Nawigiren wußte ich nicht mal wie man's schreibt. Ein Gedanke schoß mir durch den Kopf. Ich konzentrierte mich: ". . . wir lagen vor Madagaskar . . ." Nichts passierte. Naja, den Versuch war's wert. 

Wenn ich immer nur in eine Richtung segelte, mußte ich zwangsläufig irgendwo ankommen. Also kurbelte ich solange am Steuer, bis der Kompaß Nordwesten zeigte, drückte einen Knopf mit der Aufschrift 'Autopilot' und wartete ab, was passieren würde. Und tatsächlich - fasziniert beobachtete ich das Steuerrad, das wie von Geisterhand gelenkt selbständig den Kurs einhielt. Nachdem ich mir sicher war, daß es das auch weiterhin tun würde, ging ich unter Deck um den Rest der Yacht zu erkunden. 

Was ich vorfand übertraf meine Erwartungen bei weitem. Die Treppe führte mich direkt in einen Wohnraum, den ich selbst an Land als luxuriös bezeichnet hätte. Allein für die Möbel und die Vertäfelung hatte wahrscheinlich ein mittelgroßer Urwald das Leben lassen müssen. Über die üppige Couchgarnitur aus Leder mochte ich gar nicht nachdenken. Zwischen den Bullaugen hingen Aktgemälde von eher fülligen Damen. Es gab eine Minibar, einen Fernseher und sogar einen Kronleuchter, der im sanften Schaukeln der Wellen leise vor sich hinklimperte. Ich betrachte eines der Gemälde aus Nähe. Es war mit 'Joghurt Rubens, 1593' signiert. Die hintere Tür brachte mich in ein Schlafzimmer mit Wasserbett; man konnte es auch übertreiben. Die bugwärtige Tür führte durch einen Waschraum mit Marmorbadewanne in eine kleine, aber komplett ausgestattete, Kombüse. Ich öffnete den Kühlschrank, entschied mich für ein Tablett mit Räucherlachs-Schnittchen und ging zurück in den Wohnraum. Dort schaltete Videorecorder und Fernseher ein, streckte mich auf der Couch aus, mümmelte genüßlich die Schnittchen und spülte gelegentlich mit etwas irischem Whisky nach. Das war schon etwas anderes als mineralstoffarmes Grundwasser! Ich prostete Richard Gere zu, der sich, leider auf der falschen Seite der Mattscheibe, als Offizier und Gentlemen bewies und fühlte mich pudelwohl. Sichtlich angeheitert und vollgefressen schlief ich ein... 

Als ich aufwachte schien immer noch (oder schon wieder?) die Sonne. Aber irgendetwas stimmte nicht. Als ich aufstand merkte ich, was mich störte. Das Boot hatte irgendwie Schlagseite. Durch die Bullaugen zu meiner Linken sah ich nur Wasser, während ich rechterhand direkt in den blauen Himmel blickte. Mühsam das Gleichgewicht haltend wankte ich zur Treppe. Zurück an Deck mußte ich die Ursache nicht lange suchen: Ich fuhr im Kreis - und zwar verdammt schnell!!! Ein gigantischer Strudel hatte die Yacht in seine Fänge bekommen und zog sie Runde um Runde dem tosenden Mahlstrom in seiner Mitte entgegen! Ich schaltete den Autopiloten ab und versuchte gegenzusteuern, aber es war bereits zu spät, ich war schon zu nahe an der alles verschlingenden Wasserröhre. Gelähmt wie ein Reh im Scheinwerferlicht klammerte ich mich ans Steuerrad und blickte ich dem Ende entgegen, das Boot kreiste schneller und schneller, das Tosen der Wassermassen wurde zu einem Brüllen, der Mast knickte ab wie ein Streichholz, ich kreiste, ich raste, ich stürzte . . .

. . . ich wachte auf. Nur ein Traum! Mein Herz hämmerte wie wild. Pflanzensäfte wurden in derartigen Mengen in meine Blätter gepumpt, daß die Adern zu platzen drohten. Ich war immer noch eine Palme auf einer kleinen Insel in den unendlichen Weiten des Ozeans. 

Ich war mir dessen gerade erst bewußt geworden, als der Himmel urplötzlich begann, Wellen zu schlagen. Gleichzeitig glättete sich die Meeresoberfläche und erstarrte zu einer Art überdimensionalen Glasscheibe. Der Sand begann nach oben zu rieseln und ich hörte den Nachhall (!) eines gewaltigen Donnerschlages noch vor dem eigentlichen Knall. 

(Was war passiert? Nun, es kam zu einer Anomalie im Raum-Zeit-Kontinuum, ausgelöst durch den Aufschrei Tausender Zauberbuchleser. Freilich waren die einzelnen Schreie individuell verschieden. Die Spanne reichte von einem einfachen "Neeiin!" über "Ich will aber Richard Gere!" bis zu "Gottverdammte Scheiße, was glaubt der Penner eigentlich, wer er ist!?!". Aber alle sollten nur das eine sagen: "Nicht schon wieder eine Palme!" Diese massive Konzentration gleichgerichteter, polarisierter Gedankenenergie jedenfalls, riß für einen Sekundenbruchteil die Grenzen der Dimensionen ein und führten zu einer gewaltigen subrealen Explosion. Und die hatte Folgen . . .)

. . . ich wachte auf. Nur ein Traum! Mein Herz hämmerte wie wild. Schweißperlen glänzten auf meiner Stirn. Ein voller Magen und eine halbe Flasche "Bushmills' - das konnte ja nicht gut gehen. Noch etwas benommen kletterte ich an Deck und sah am östlichen Horizont die Sonne flammend dem Meer entsteigen. Was würde der neue Tag bringen?